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Anna-Lena Müller: „Der aufregende Umzug“

 Als der Wecker klingelt, öffne ich die Augen. Wo bin ich? Ach ja, in unserer neuen Wohnung. Ich werde mich nie daran gewöhnen, aber seit Samstag wohne ich mit meiner Mutter in Prüm. Sie sagt zwar, dass das alles ein guter Neuanfang ist, aber ich will keinen Neuanfang. Schon gar nicht in Prüm. Diese kleine Stadt ist viel zu weit weg von meinem Vater, meinen Freunden, meinem Leben. Da kommt meine Mutter plötzlich in mein winziges neues Zimmer. Es ist eher eine bessere Besenkammer, als ein Zimmer, in dem ein vernünftiger Mensch leben kann. „Du musst jetzt aufstehen, Mia. Du willst doch nicht an deinem ersten Tag in der neuen Schule zu spät kommen, oder?“, fragt sie mich. Ach ja, die neue Schule, die habe ich ja komplett vergessen. „Ich will überhaupt nicht in die Schule. Lass mich noch fünf Minuten schlafen“, murmle ich in mein Kissen. Doch da wird mir die Bettdecke weggezogen, und nachdem ich mich ans Kissen schmiege, klaut meine Mutter mir dieses ebenfalls. „Nichts da. Du stehst jetzt sofort auf!“, bestimmt meine Mutter energisch. „In einer halben Stunde musst du fertig sein, sonst kommst du zu spät.“

„Das ist Mia Graf. Ab heute geht sie in diese Klasse. Ich erwarte von euch, dass ihr nett zu ihr seid“, meint meine neue Klassenlehrerin. Wie sie heißt, weiß ich nicht mehr, aber das ist auch egal. Ich will hier sofort weg. Alle starren mich an und durchbohren mich mit neugierigen Blicken. Ich will in meine alte Klasse, zu meinen Freunden. „Du kannst dich hier her neben Sarah setzen.“ Die Lehrerin weist auf einen freien Platz in der ersten Reihe. In der ERSTEN Reihe! Na toll. Wenigstens ist Sarah echt nett. Als die erste Stunde endlich vorbei ist, zeigt sie mir den Stundenplan, damit ich ihn mir aufschreiben kann. Außerdem erklärt sie mir wichtige Dinge bis der Deutschlehrer kommt. Dann ist endlich Pause. „Komm, ich zeige dir, wo alles ist“, sagt Sarah. „Danke. Ohne deine Hilfe würde ich den Tag vermutlich nicht überleben“, erwidere ich. Ich bin echt froh, dass ich in der Pause nicht irgendwo alleine herumstehen muss. Bis jetzt bin ich in allen Fächern gut mitgekommen, aber in Mathe verstehe ich nur Bahnhof. Leider merkt der Lehrer das auch. Immer wieder fragt er mich etwas, um meinen Leistungsstand zu
überprüfen, aber ich weiß auf keine seiner Fragen eine Antwort. „Ich möchte mich nicht unnötig mit langen Erklärungen aufhalten. Sarah wird dir alles erklären.“ Sofort nickt Sarah. „Wir könnten uns nach der Schule treffen. Oder hast du schon etwas anderes vor?“, fragt Sarah, als der Lehrer sich zur Tafel dreht. Ich überlege, aber ich kann mich an keinen Termin erinnern. Wie auch, wir wohnen schließlich erst seit drei Tagen in Prüm. „Nein, ich habe noch nichts vor. Du kannst nach der Schule mit zu mir kommen. Meine Mutter kann ziemlich gut kochen.“ Das stimmt sogar. Mein Opa ist Koch und der hat ihr ziemlich viel beigebracht. Sarah nickt begeistert: „Oh ja, das wäre super. Meine Eltern arbeiten heute länger, deshalb muss ich selber kochen. Ich…“ Sie verstummt, weil der Lehrer uns einen verärgerten Blick zuwirft. Bevor Sarah sich wieder ihrem Mathebuch widmet, grinst sie mich an.


Als die Schule zu Ende ist, gehen Sarah und ich nach Hause. Nach dem Mittagessen gehe ich mit Sarah in mein Zimmer. „Du hattest Recht. Deine Mutter kann echt super kochen. Und noch einmal danke für die Einladung“, bedankt Sarah sich. Ich nicke nur und sehe mich in meinem Zimmer um. Es ist nur etwa halb so groß wie mein altes Zimmer. Die meisten Sachen sind noch in den
Umzugskartons, ich hatte noch keine Zeit alles auszupacken. Glücklicherweise sind die Möbel schon aufgebaut. „Warte kurz, ich gehe uns etwas zu trinken holen“, meine ich. Als ich mit Getränken und Cookies zurückkomme, hat Sarah schon alles für Mathe auf dem Schreibtisch ausgebreitet. „Auf Mathe habe ich ehrlich gesagt echt keinen Bock. Aber es muss ja sein. Tut mir Leid, dass du deine Zeit jetzt damit vergeuden musst mir alles zu erklären“, entschuldige ich mich. Doch Sarah scheint das nichts auszumachen. Nach einer dreiviertel Stunde habe ich alles Wichtige verstanden. „Hast du eine Idee, wie ich alle meine Sachen in diesem winzigen Zimmer unterbringen kann?“, frage ich Sarah. Sie zuckt mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung“, meint sie entschuldigend. Dann sieht sie mich
nachdenklich an: „Hier ist doch kein Zimmer mehr neben deinem, oder?“ Keine Ahnung worauf sie hinaus will, aber Sarahs grünen Augen leuchten abenteuerlustig. Ich schüttle den Kopf. „Nein, mein Zimmer ist an der Hausecke“ überlege ich. Jetzt funkeln ihre Augen richtig. „Aber müssten dann nicht an dieser Wand Fenster sein?“, überlegt sie während sie auf die gegenüberliegende Zimmerwand deutet. Nach kurzem Überlegen nicke ich zögernd. „Du meinst…?“, frage ich Sarah verblüfft. Dass mir das noch nicht aufgefallen ist! „Ich habe mich so über den Umzug aufgeregt, dass ich das noch gar nicht bemerkt habe“, gestehe ich. „Hier muss noch ein Raum sein. Lass uns die Wand absuchen“, schlägt Sarah dann vor. Wir klopfen die ganze Wand ab und suchen nach einer möglichen
Zwischentür, können aber keine finden. „Also hier ist auf jeden Fall noch ein Zimmer, die Wand hört sich hohl an. Wir sollten den Schrank wegschieben. Vielleicht ist die Tür dahinter“, sagt Sarah schon ein wenig hoffnungslos.
Der Schrank war schon in diesem Zimmer, bevor wir eingezogen sind. Er ist schöner als mein Schrank, deshalb habe ich ihn stehenlassen. Der Schrank wirkt alt und wertvoll. Vorsichtig schieben wir den Schrank zur Seite. Und tatsächlich: Hinter dem Schrank befindet sich ein schmaler Durchgang! Ich stoße einen spitzen Freudenschrei aus und auch Sarah wirkt ziemlich neugierig. „Alles in Ordnung?“, erkundigt sich meine Mutter, die plötzlich den Kopf in mein Zimmer steckt. Ich weiß
nicht warum, aber schnell stelle ich mich vor den Durchgang damit man ihn nicht sieht. Schnell nicke ich. „Ja, alles bestens.“ Meine Mutter wirkt zwar nicht besonders überzeugt, geht aber, als sie einen Blick auf Sarahs scheinheiliges Gesicht wirft. Als die Tür zufällt, lächelt Sarah geheimnisvoll. „Lass uns
nachsehen, was in dem geheimen Zimmer ist“, schlägt sie nun etwas leiser vor. Ich nicke begeistert. Vorsichtig schiebe ich mich durch den Durchgang. Er ist so niedrig, dass ich mich ducken muss. Der Raum, in den wir kommen, ist ein wenig kleiner als mein Zimmer. An der Wand gegenüber sind zwei Fenster. Die alt aussehenden Gardinen sind an beiden Fenstern zugezogen, trotzdem ist es nicht
komplett dunkel. Neben der Tür steht ein großes Bücherregal mit ziemlich vielen Büchern. Zwischen dem rechten Fenster und dem Regal steht ein gemütlich aussehender Sessel. In der anderen Zimmerseite befindet sich eine alte Truhe. Neugierig nähere ich mich der Truhe. Eine dicke Staubschicht liegt auf ihr. „Wow“, stößt Sarah aus. Ich nicke bloß und puste den Staub von der Truhe um prompt einen Hustenanfall zu bekommen. So viel Staub habe ich ja noch nie gesehen. Dann öffne ich die Truhe. In ihr sind einige Kleider, Schmuck, ein Tagebuch und alte Münzen. „Wow“, flüstere ich nun auch voller Ehrfurcht. Die Truhe und deren Inhalt müssen echt alt sein. Vorsichtig ziehe ich eines der Kleider aus der Truhe. Das hellblaue Kleid ist ziemlich lang und wunderschön. Behutsam lege ich es wieder zurück in die Truhe. Sarah legt das Tagebuch zurück. „Diese Sachen gehören einer gewissen Katharina S… Den Nachnamen kann ich nicht erkennen. In den letzten Tagebucheinträgen schreibt sie, dass sie für eine scheinbar unfreiwillige Reise nur das Nötigste mitnehmen kann. Alle wichtigen Dinge hat sie hier dieser Truhe versteckt, damit sie, falls sie wieder zurückkommt, etwas zum Überleben hat. Ich glaube, dass sie nicht mehr zurückkam. Der letzte Tagebucheintrag stammt von Mai 1954. Das ist ja alles so aufregend!“, quiekt Sarah begeistert. Dann sieht sie mich ein wenig neidisch an: „Hast du Glück. Ich wünschte, bei uns wäre auch so eine geheime Kammer.“ Ich lächle sie an. „Du kannst ja öfter kommen. Dann sehen wir uns alles ganz genau an. So langsam glaube ich, dass der Umzug doch nicht das Schlechteste war, was wir getan haben.“ Und das meine ich ganz ehrlich.

Begründung der Jury: Deine Geschichte ist locker geschrieben und schön zu lesen. Sie ist spannend und gut erzählt, und hat einen besonders runden Abschluss.

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